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Zeitenwende und deutsche Lebenslügen

Jahresempfang der Wirtschaft in Mainz

Endlich wieder Jahresempfang! Mehrere tausend Gäste waren in die neu sanierte Rheingoldhalle nach Mainz gekommen – zum 22. Jahresempfang der Wirtschaft – nach zweijähriger Pause. Der diesjährige Hauptredner war der Spitzenjournalist Dr. Peter Frey. Gastgeber sind 15 rheinland-pfälzische Kammern, darunter auch die Landeszahnärztekammer.

In seiner Rede sprach der ehemalige ZDF-Chefredakteur über „Zeitenwende und deutsche Lebenslügen“. Dr. Peter Frey beschrieb die Zeitenwende, die Bundeskanzler Scholz vor rund einem Jahr ausgerufen hatte. Diese sei nicht nur eine militärische, sondern auch eine gesellschaftliche Wende, die alle betreffe.

In einer krisenhaften Zeit zu leben sei zum Normalzustand geworden. „Wie bewältigen wir diese Daueranstrengung?“, fragte Frey, und warf einen realistischen Blick auf die Bedingungen. „Es gibt aber Anzeichen für Zuversicht, mitten in den Krisen sind schon Lösungen gefunden worden“. Ein Beispiel dafür sei die Besonnenheit, mit der der überwiegende Teil der Deutschen auf die Energieknappheit reagiert habe – entgegen aller Befürchtungen eines „Wutwinters“.

Als die drei zentralen Lebenslügen entlarvte Frey zum einen die Fixierung auf preiswerte russische Energie, ohne sich der Abhängigkeit ausreichend bewusst zu sein. Zu lange habe man eine „romantische Vorstellung“ von einem friedlichen und kooperativen Russland gehabt. Zum anderen gebe man auch China einen viel zu großen Vertrauensvorschuss – beide Marktpartner seien definitiv keine Demokratien – davor habe man viel zu lang die Augen verschlossen.

Ebenso habe man über Jahrzehnte die Verantwortung für die militärische Verteidigung Europas an die USA übertragen und damit Partner weltweit enttäuscht. „Wir müssen uns trennen von diesen Geschäftsmodellen, auch wenn das schwer, schmerzhaft und kostspielig wird.“ Unter großem Applaus verabschiedete sich der ehemalige ZDF-Chefredakteur.

Diskussionsrunde

Zuvor hatte sich die Ministerpräsidentin Malu Dreyer auf einer Podiumsdiskussion den kritischen Fragen von vier Teilnehmern aus verschiedenen Kammerbereichen stellen müssen. Das Hauptthema der Runde war die Energiekrise und ihre Folgen für die Wirtschaft im Land. „Das Glas ist halb voll“, so Dreyer. Sie unterstrich die wirtschaftliche und finanzielle Stärke von Rheinland-Pfalz und die „unglaublich solidarische Gemeinschaft“.

Dr. Günther Matheis, Präsident der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz war für die Heilberufekammern in der Talkrunde vertreten. Er berichtete über die steigenden Kosten in Krankenhäusern und Praxen. Er ging darauf ein, dass die medizinische Grundversorgung durch die demografische Entwicklung unter Druck gerate. So brauche man z. B. Modelle, Ärzte auch im ländlichen Raum zu verteilen, allerdings müsse man sich daran gewöhnen, dass die Versorgung nicht mehr so flächendeckend und umfassend bleibe, wie sie aktuell noch sei. Wege aus dem Dilemma könnten die Förderung von Quereinsteigern in medizinische Berufe sein, ein Masterplan mit dem Gesundheitsministerium sowie vor allem die qualifizierte Zuwanderung, so Matheis.

Peter Hähner, Präsident der Industrie- und Handelskammer für Rheinhessen, unterstrich, wie die Krisen durch den Krieg in der Ukraine weiter verschärft worden seien. Jedoch seien die Unternehmen besser als erwartet durch den Winter gekommen. Die aktuelle Situation dürfte keinesfalls dazu führen, dass die Klimaziele reduziert werden. „Der Druck, sich zu verändern, muss hoch bleiben!“

Joachim Rind vertrat als Präsident die Architektenkammer Rheinland-Pfalz. Er beschrieb die Probleme, die die aktuelle Krise auf die Bauwirtschaft habe.

Die Frage an die Landesregierung, wie die Unternehmen im Land zu halten wären, beantwortete Dreyer mit der Hoffnung, dass die Preisbremsen und Fördermaßnahmen für Innovationen ihre Wirkung entfalteten. Sie ging auf die Leuchtturmprojekte im Land ein, die europaweit Bedeutung hätten, z. B. im Bereich Wasserstoff.

Hans-Jörg Friese, Präsident der Handwerkskammer Rheinhessen, hatte zuvor in seiner Begrüßungsrede über die zusätzlichen Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg gesprochen. Er betonte: „Die heimische Wirtschaft steht für Frieden, Freiheit und Toleranz.“ Er wandte sich an das Auditorium: „Sie sind diejenigen, die andere inspirieren.“ Gerade die jetzige Zeit multipler Krisen müsse genutzt werden, um einen Neuanfang zu wagen.

Get-together

Im Anschluss vernetzten sich Unternehmer und Entscheider in der neu renovierten Rheingoldhalle bei einem Stehempfang. Merklich froh waren die Gäste, sich nach der langen Zeit der Corona-Pandemie endlich wieder „live und in Farbe“ zu treffen.

 

Impressionen vom Jahresempfang der Wirtschaft